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Messina”
abendfüllender Kino-Dokumentarfilm, Länge 139'15" Min., DCP, Farbe und s/w, D/I 2016.
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Messina” ist eine filmisch kontemplative und kritische Reise an eine der wichtigsten Schnittstellen Europas. Seit der Antike und bis in die Gegenwart sind die Meere zwischen Skylla und Charybdis eine Herausforderung: in Realität, Traum, Mythen und den politischen Gestaltungsräumen der Gegenwart.
Einer der Fluchtpunkte des Films ist der Roman "Horcynus Orca" von Stefano D'Arrigo: vierzig Jahre nach der Veröffentlichung in Italien liegt das Werk erstmals in der Übersetzung von Moshe Kahn vor (S. Fischer Verlag). Die deutschsprachige Presse ist flächendeckend von diesem Epos und seiner Sprache entzückt, das als der letzte große Roman des 20. Jahrhunderts gehandelt wird. Kahn wurde dafür der Deutsch-Italienische Übersetzerpreis 2015 verliehen. Veröffentlichungen in den USA und Frankreich (Éditions Le nouvel Attila) sind in Planung.
Ein weiterer wesentlicher Fluchtpunkt des Films sind die politischen Gestaltungsräume der Gegenwart in Messina, einer sizilianischen Großstadt am Rand EU-Europas, die über Jahrzehnte von Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien regiert wurde. Korruption, Infiltration der Mafia und Postenverteilung nach den Vorgaben von Parteien und Familien, anstatt nach Meriten, sowie eine mehr als fragwürdige Auftragsvergabepraxis führten zur kommissarischen Verwaltung der Stadt. Im Juni 2013 wird „ein Mann der Minderheit“ aufsehenerregend und mit großen Erwartungen zum Bürgermeister von Messina gewählt: Renato Accorinti. Seit 40 Jahren kämpft er mit anarchischer Energie für Menschenrechte, Umwelt, eine gewaltfreie Gesellschaft, partizipatorische Demokratie und das Gemeinwohl, das bei den Schwächsten in der Gesellschaft beginnt und gegen den Bau der Brücke über die Meerenge sowie die Mafia. Unterstützt von der Bewegung “Cambiamo Messina dal basso” (“Verändern wir Messina von unten her”) ist seine Administration mit dem fortschreitenden Zerfall des Territoriums, der ohnmächtige Wut der lokalen Bevölkerung gegenüber den steigenden sozialen Spannungen und einem unaufhörlichen Strom von Flüchtlingen aus Nord Afrika konfrontiert.
So öffnet sich der Blick auf den europäischen Kontinent und den Mittelmeerraum: Messina ist einer der Orte, an denen die Europäische Union zum leben erweckt wurde. Sechzig Jahre nach der „Konferenz von Messina“ eröffnet sich die Chance kritisch über alltägliche Lebensbedingungen der Peripherie, und offensichtliche Widersprüche in sehr komplexen Mechanismen zu reflektierteren: Europa scheint auf allen Verwaltungsebenen durch die eigene Bürokratie und verworrene Reglungen gelähmt.
Der Regisseur Benjamin Geissler hat die aktuellen Lebensbedingungen in Messina aus verschiedensten Perspektiven beobachtet. Mit 60 Drehtagen und Material-Inserts, die er zwischen 2013 und 2015 gesammelt hat, zeichnet er ein ambivalentes Bild dieser Stadtlandschaft in menschlicher, geschichtlicher und symbolischer Dimension.
Die Zitate aus dem "Horcynus Orca", Gespräche mit dem Übersetzer und Eindrücke sizilianischer Leser verweben sich mit Aussagen der lokalen Administratoren und Stimmen der Bürger aus unterschiedlichsten sozialen Schichten. So werden die Bilder der Meere zwischen Skylla und Charybdis zu einer literarischen und politischen Metapher des "Über-setzens": von einer Kultur in die andere, von Verbindungen zwischen Geschichte, Politik und Territorium zu den Wogen der gegenwärtigen sozialen Situation zwischen Traditionen und den Herausforderungen der Zukunft.
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Messina” verknüpft seine filmische Erzählung mehrschichtig: so entstehen Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, konkrete und symbolische Lesarten der Realität und es eröffnen sich stringente Fragen zur Zukunft des Mittelmeerraums.
Benjamin Geissler
E-mail: info@benjamingeissler.de
benjamingeissler.de