Zeitlupe Dániel Péter Biró:
Fragmina Et Axiomata
Werke von Dániel Péter Biró und Guillaume Dufay
Ensemble Mixtura:
Kai Wessel, Altus a.G.
Katharina Bäuml, Schalmei
Margit Kern, Akkordeon
Arsalan Abedian, Klangregie
Thorsten Preuß, Moderation
„Fragmina Ex Axiomata“ für Countertenor, Schalmei und Akkordion (2017)
Fragmina ex axiomata nimmt ihre Inspiration aus dem Text von Baruch Spinoza. Im Herbst 2011 war ich Gastprofessor an der Informatikabteilung der Utrecht Universität in den Niederlanden. In Den Haag fand ich eine Wohnung in der unmittelbaren Nähe von Baruch (Benedikt) Spinozas Grabstätte. Obwohl Spinoza einer der größten Philosophen des siebzehnten Jahrhunderts war, wurde er wegen seiner Ansichten, die für die niederländische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts all zu radikal erwies, aus der portugiesischen Synagoge in Amsterdam verbannt. In seiner philosophischen Abhandlung Ethik Spinoza versuchte, eine neue Art von Theologie zu präsentieren, die sich autonom gegenüber organisierter Religion, wie seiner eigenen portugiesischen jüdischen Gemeinschaft, rechtfertigte. Im Zentrum des Stückes steht der biblische Text: “Er erschauerte und sprach: Wie schauerlich ist dieser Ort! dies ist kein andres als ein Haus Gottes, und dies ist das Tor des Himmels.” (Gen.28:17).
Zuerst hört man den Text auf Hebräisch mit der gleichen Melodie, die auch in der portugiesischen Synagoge im Amsterdam gesungen wird. Das Klangmaterial der darauf folgenden lateinischen Version basiert sich auf Dufay's Motette Nuper Rosarum Flores, das sich wiederum auf die gregorianische cantus firmus Melodie "Terribilis est locus iste" beruht. Fragmente von Nuper Rosarum Flores tauchen auch in meinem Stück auf.
Meine Komposition erforscht die historische Dichotomie von Religion und Säkularismus aus der Perspektive unserer heutigen globalisierten Existenz. Indem das Werk Elemente des jüdischen und christlichen liturgischen Gesanges mit elektroakustischer Klangverarbeitung integriert, versucht es, sich mit der Hilfe von historisiertem und spezialisiertem Klang an Spinozas Text und Lebenswelt zu erinnern. Auf diese Weise wird der philosophische Text der Ethik, der zu seiner Lebenszeit nicht veröffentlicht werden konnte, wieder relevant. Textfragmente Spinozas werden in eine musikalische Sprache übersetzt, wo sich Mythos und Vernunft nicht als diametral entgegengesetzte Kräfte gegenüberstehen, sondern sich eher als integrale Elemente auf unsere eigene gegenwärtige Realität beziehen.
Von Baruch Spinoza: Ethik (1677)
1. Omnia quae sunt vel in se vel in alio sunt
Alles was ist, ist entweder in sich oder in einem andern.
3. Ex omnibus supra dictis clare apparet nos multa percipere, et notiones universales formare
Aus allem was im vorstehenden gesagt ist erhellt deutlich, dass wir vieles erfassen, und allgemeine Begriffe bilden.
5. Id quod per aliud non potest concipi, per se concipi debet.
Was nicht durch ein anderes begriffen werden kann, muss durch sich selbst begriffen werden.
(Dániel Péter Biró)
Die Zeitlupe ist eine Veranstaltung der Hannoverschen Gesellschaft für Neue Musik (HGNM).