TOBIAS YVES ZINTEL
Earthly Powers, 2011
HD Video, 38 min, color/sound

«Von den großen Ereignissen und Persönlichkeiten überzugehen zum Leben der anonymen Individuen, die Symptome einer Epoche, einer Gesellschaft oder einer Kultur in den winzigen Details des Alltagslebens zu entdecken, die Oberfläche von den unsichtbaren Tiefenschichten her zu erklären und ganze Welten auf der Basis einiger weniger Spuren zu rekonstruieren – all das war zuerst ein literarisches Programm, bevor es ein wissenschaftliches wurde.» Jacques Rancière1

Die jüngste filmische Arbeit von Tobias Yves Zintel mit dem Titel Earthly Powers ist die emphatische und gleichsam kühle Annäherung an eine Lebenswelt zwischen Romantik und Groteske. Sie dokumentiert die Begegnung mit einem real existierenden und dennoch namenlosen Ort in den Vereinigten Staaten von Amerika und dessen schrulligen ebenfalls realen Bewohnern. Begleitet von der Musik der Münchner Band Pollyester entwirft Zintel ein ambivalentes Universum, das einerseits ein vorurteilloses Plädoyer für die Diversität menschlicher Lebensentwürfe und ihrer Orte hält, und andererseits jedoch schonungslos deren Gebundenheit an die zyklischen Tendenzen materieller Existenz entlarvt.

Mit einer Bildsprache, die – entgegen den Möglichkeiten der portablen Kamera – sowohl die Bewegung als auch die Bewegtheit der Protagonisten und Motive ruhig und statisch einfängt, werden zum Teil «totale» Bilder erzeugt, deren ikonische Wirkkraft aus der Benjamin’schen «natürlichen Distanz zum Gegenstand» resultiert, die Zintel bisweilen mehr als «Maler», denn als «Kameramann» erscheinen lassen.2 Darin synoptisch eingefasst treffen Künstler, MusikerInnen und eine Tänzerin sowie Architekturen und Requisiten aus zwei Generationen aufeinander, die in einem spezifischen Verhältnis zum Drehort stehen und davon erzählen. Diese Erinnerungen und Visionen sowohl zum eigenen Leben als auch zu besagtem Ort oszillieren zwischen Nostalgie, Resignation, aber auch unermüdlicher Kontinuität und visionärem Aufbruch; so gehen aus den Zyklen materieller Bedingungen rückwirkend jeweils eigene Zyklen gesellschaftlicher und künstlerischer Aneignung hervor, wovon der Film als solcher selbst Zeugnis ablegt.

Besonders evident wird jene Dimension der künstlerischen Aneignung auch auf der Ebene der Akustik resp. des Soundtracks. Denn die Musik von Pollyester durchdringt nicht nur die Bilder des Filmes; sie wird selbst regelmässig zu ihrem Gegenstand. Sie fragmentiert so zwar die dokumentarischen Epsioden, die sich als anekdotische Schilderungen an das kritische Vermögen des Betrachters richten, schlägt zugleich jedoch auch wiederum, analog zum Film selbst, eine Brücke zum Dokumentarischen, indem sie eine mögliche Praxis der künstlerischen (musikalischen) Aneignung aufzeigt.

Die Relevanz des Themas der künstlerischen Aneignung für Earthly Powers allerdings reicht weit über das bisher Gesagte hinaus. Wie mehrfach angedeutet, wird sie selbst nicht nur im, sondern insbesondere mit dem Film thematisch. An dieser Stelle wird die an den Anfang gestellte Passage aus Jacques Rancières Aufteilung des Sinnlichen wesentlich: Diese nämlich umreisst eine oftmals verleugnete Verwandtschaft zwischen dem, was wir Kunst und dem was wir Wissenschaft nennen. Und obwohl beide, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, von gegenseitiger Befruchtung zu berichten wissen, sind ihnen klar differenzierte und voneinander getrennte Kompetenzen und Orte in unseren Gesellschaften anheim. Verstehen wir nun einen Dokumentarfilm als im weitesten Sinne wissenschaftlich, so stellt Zintels Earthly Powers eine Rückbesinnung auf den literarischen, d.h. künstlerischen Ursprung der Dokumentation im Realismus dar.3 In der poetischen Beliebigkeit der Dokumentation als künstlerische Praxis der Aneignung entfaltet sich ein künstlerisches Programm, das uns, dem Publikum, das Schicksal eines Ortes und seiner Menschen, dessen und deren Perspektiven sowie schließlich die Antipoden Kapitalismus und Nachhaltigkeit eindringlich näher bringt, ohne es uns zu gestatten, dass wir unsere Anteilnahme und unser Denken über das Gesehene und Gehörte an die «logische» Erklärung eines auktorial-wissenschaftlichen Erzählers auslagern können.

Dergestalt eröffnet Tobias Yves Zintels Earthly Powers, die Dokumentation als künstlerische Praxis für sich beanspruchend, einen scheinbar leichten und zugleich tiefgreifenden Einblick in die Kräfte die uns Menschen und unsere Welt bestimmen und treiben. Es vollzieht sich dies anhand weniger Spuren und anonymen Individuen.

Von David François Misteli

Tobias Yves Zintel
Earthly Powers, 2011
Video, 36:57 min.

# vimeo.com/74882632 Uploaded

TOBIAS YVES ZINTEL - WORKS

Tobias Yves Zintel

My video works from 2006 - 2015. Enjoy.

TOBIAS YVES ZINTEL - [email protected], [email protected]

Biographie / Biography

1975 Geboren in Passau
Born in Passau, Bavaria
Lebt und arbeitet in Berlin & Köln
Lives and…


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My video works from 2006 - 2015. Enjoy.

TOBIAS YVES ZINTEL - [email protected], [email protected]

Biographie / Biography

1975 Geboren in Passau
Born in Passau, Bavaria
Lebt und arbeitet in Berlin & Köln
Lives and works in Berlin & Cologne

2002-2007 Studium an der Akademie der Bildenden Künste
München bei Joseph Kosuth.
Studied at the
Academy Of Fine Arts in Munich in the class of Joseph Kosuth.

Einzelausstellungen/Solo Exhibitions

2013 Mental Radio, Season Projects, London, United Kingdom
Symbolic Exchange, Braennen, Berlin, Germany

2012 Mental Radio, Barbara Gross Gallery, Munich, Germany
Mental Radio, Moves #44, Image Movement, Berlin, Germany

2011 God loves fags, Mo David North Gallery, Glen Wild, New
York, USA

2010 Acid and ice cream, video roam curated by Paul Young,
Honor Fraser Gallery, Los Angeles, USA
Open Space, The Fountainhead, Art Cologne, Cologne, Germany

2008 Confession of Aggression, Doing Identity Bastard,
Kammerspiele München - Neues Haus, Munich, Germany

2007 Entertaining Satan, Barbara Gross Galerie,
Munich, Germany

2006 Fear Fear Fear, Münchner Kammerspiele, Munich, Germany

Ausstellungsbeteiligungen/Exhibitions/Performances

2013 Videonale.14 on Tour, Central House of Artists, Moskow Bienale, Moskow; Russia
Stromfestival, Kunsthaus Rhenania, Cologne, Germany
Videonale.14, Kunstmuseum Bonn, Bonn, Germany

2012 The Genetic Drive, collaboration with Paul Knight,
Glasgow International Festival of Visual Art, Glasgow, Scotland.
Age of Consent, Doris McCarthy Gallery, Toroto, Canada.
Action Unites - Words Divide, Jump and Run Festival, Hau3, Hebbel am Ufer, Berlin, Germany.

2011 Sospechas: Martin Hast & Tobias Yves Zintel,
Espacio Vacio, Guayaquil, Ecuador.
Impulse, Groupeshow, Aando Fine Art, Berlin, Germany .
Luxus Loft, Friedenstrasse 16, Berlin, Germany.

2010 Breed and Educate, X-Schulen Festival Hebbel am Ufer,
Berlin
Barbara Gross Gallery, Eröffnung in neuen räumen, mit Alicia Framis, Beate Gütschow, Carlos Garaicoa, Katharina Grosse, Kiki Smith, Jana Sterbak u.a., Munich, Germany

2009 Performance, Interesting productions, The Office, Berlin, Germany
Hauptschule der Freiheit, project of münchner kammerspiele, Munich, Germany

2008 Interesting Productions #3,
The Fortress of Night and Day, ZKMax, Munich, Germany
Interesting productions #2,
Städtische Galerie im Lenbachhaus, Munich, Germany

2008 Confession of Aggression, Doing Identity Festival,
Kammerspiele München - Neues Haus, Munich, Germany

2006 Interesting Productions #2,
Städtische Kunsthalle Lothringer 13, Munich (cat.),
Germany
Bonnie Prince German, Galerie Low Salt, Glasgow, GB
Drei minuten Nationalsozialismus, Bunnyhill II,
Münchner Kammerspiele, Munich, Germany

2005 5 Days Off - Festival, Paradiso, Amsterdam,
The Netherlands
Favoriten - Junge Kunst in München, Kunstbau Lenbachhaus, Munich, Germany.
Club-transmediale, Maria am Ostbahnhof, Berlin, Germany
Ghostakademie, Rathahausgalerie, Munich, Germany

2004 Battle Battle Battle, Bunnyhill I, Kammerspiele München, Munich, Germany
reject, international filmfestival rotterdam, netherlands

2003 La vitesse du Voyge, Die Klasse Joseph Kosuth &
Joseph Kosuth, Stiftung Starke, Berlin, Germany

Screenings

2013 „Mental Radio“, Rencontres internationales,
Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Germany

2012 "Mental Radio", Moves #44, Image Movement, Berlin,
Germany.
"Earthly Powers", Bukarest Filmfestival, Bukarest, Rumania.
"Earthly Powers", Rencontres Internationales, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Germany.

2011 "Earthly Powers, 36min" Centre Pompidou, Rencontres
Internationales, Paris, France
And the Demon said" Club Transmediale, Glogauair,
Festival, Berlin.
2010 „Acid and Ice Cream“, Cinema Loop, Arco Madrid 2010, Madrid, Spain
„Hell Hotel“, Galleria Sinne, Helsikni, Finnland.
„Hell Hotel“, Galleria Rajtaide, Tampare, Finnland.
„The Demon said...“ Home Sweet Home, Performance Festival, Werkstatt der Kulturen, Berlin.
„Traumberuf Realität“, Rencontres Internationales,
Filmoteca Espanola, Madrid, Spain.
„Traumberuf Realität“, Rencontres Internationales,
Haus der Kulturen der Welt, Berlin.

2009 „Traumberuf Realität“, Rencontres Internationales, Jeu de Paume, Paris, France.
„Hell Hotel“, Rencontres Internationales, Haus der Kulturen der welt,Berlin, Germany.
„Hell Hotel“, Galleria 3H-K, Maaherrankatu 32 Pori, Finnland.
„Hell Hotel“, Makan, Amman, Jordan.
„The Redesign of Satanism“, Source Codes, Image Movement, Berlin, Germany.
„Hell Hotel“, Rencontres Internationales, Reina Sofia
National Museum, Madrid, Spain.

2008 „Hell Hotel“, Rencontres Internationales, Centre Pompidou, Paris, France.

2006 „Interesting Productions #1“, Bühne des Lebens,
Rethorik des Gefühls, Städtische Galerie im
Lenbachhaus, Munich, Germany.
Interesting Productions #1, Das Leben, eine Gebrauchsanweisiung, Haus der Kunst, Munich, Germany.
Drei Minuten..., bei Petula im Park, Petuelpark, Munich, Germany.

Oper/Opera Theater/Theatre

2013 Arrivals, Film and Performance, Neumarkt Theater, Zürich, Switzerland
Rocco and his Brothers , video installation, Neumarkt Theater, Zürich, Switzerland
Das Gegenteil von Tod, Co-Director with Peter Kastenmüller, Maxim Gorki Theater, Berlin, Germany
Der Ring - Next Generation, Stage Design & Filminstallation, Deutsche Oper Berlin, Berlin,
Germany.

2012 Action Unites - Words Divide, video-based performance,
HAU 3, Berlin, Germany.

2011 Das siebente Siegel, video installation, Theater Basel, Switzerland.
A hole in my Heart, video installation,
Theater Neumarkt, Zurich, Switzerland.
East of Eden, video installation, Theater Basel, Switzerland.

2010 Neverland, video installation, Schauspielhaus
Hannover, Hannover, Germany.
Breed and Educate, video based Performance, Hebbel
am Ufer, Berlin, Germany.
Herakles, video installation, Theater Basel,
Basel, Switzerland.
Weekend, video installation, Neumarkt Theater Zürich, Zurich, Switzerland.

2009 Hauptschule der Freiheit, performance and film, Kammerspiele München, Munich, Germany.
Schwarz, Rot, Gold, video installation, Schauspiel Frankfurt, Frankfurt, Germany.

2008 Confession of Aggression, director, video-based
perfromance, Kammerspiele München, Munich, Germany.

2007 Pool - No Water, video installation, Schauspielhaus Frankfurt, Frankfurt, Germany.
Die Familie Schroffenstein, video installation, Kammerspiele München, Munich Germany.
Falstaff, video installation, Schauspiel Frankfurt, Frankfurt, Germany.

2006 Schwarz, video installation, Thalia Theater Hamburg, Hamburg, Germany.
Drei Minuten Nationalsozialismus, director, video-based performance, Kammerspiele München,
Munich, Germany.
Die Räuber, video installation, Volkstheater Wien, Vienna, Austria.

2005 Abalon, videoinstallation, Schauspiel Frankfurt, Frankfurt, Germany.
Plattform, videoinstallation, Schauspiel Frankfurt, Frankfurt, Germany.

2004 Battle Battle Battle, director, video-based performance,
Kammerspiele München, Munich, Germany.

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